Als Pastoralreferent in der Gefängnisseelsorge

Von Richard Raming

Vereinfacht gesagt: Die Kirche kommt zu den Menschen ins Gefängnis, da diese durch Stacheldraht und hohe Mauern am Kirchgang gehindert werden. Die katholische Kirche tut dies durch vom zuständigen Bischof beauftragte hauptamtliche oder nebenamtliche Gefängnisseelsorger, ehrenamtliche Helfer und das Engagement von Pfarrgemeinden und Caritas. Der Besuch von Inhaftierten und die Sorge um straffällig gewordene Menschen gehört von Anfang an zu den Grundzügen kirchlicher Praxis. Die solidarische Begegnung mit straffällig gewordenen Menschen basiert auf einem christlichen Menschenbild, das die Schuldfähigkeit von Menschen ebenso anerkennt wie die Möglichkeit der Umkehr und des Neuanfangs und damit die Idee von Resozialisierung mitträgt.

Die Gefängnisseelsorge ist in ihren Angeboten auch offen für nicht- und andersgläubige Inhaftierte und stellt unter sozialpastoralen Gesichtspunkten die Sorge um das Leben der Menschen vor die Sorge um den Glauben der Menschen, denen sie begegnet. So stellt das Zweite Vatikanische Konzil gleich am Anfang seiner Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ vom 7. Dezember 1965 fest:

„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“

Der Staat unterstützt die Gefängnisseelsorge vor allem, weil das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) auch für Inhaftierte gilt und durch die Präsenz der Kirche in staatlichen Institutionen ohne weiteres gewährt werden kann (Art. 140 GG / Art. 141 WRV). Um ein reibungsloses Miteinander von Kirche und Justiz im Strafvollzug zu ermöglichen, ist das Verhältnis zwischen den Ländern und den Bistümern bzw. dem Heiligen Stuhl differenzierter in den jeweiligen Strafvollzugsgesetzen, durch Konkordate, Staatskirchenverträge und detailliertere Dienstordnungen geregelt.

Zur ungestörten Religionsausübung im Gefängnis gehört aus katholischer Sicht die Möglichkeit zur Teilnahme an Gottesdiensten, Gruppen und Veranstaltungen der Seelsorge, an seelsorglichen Einzelgesprächen und begleiteten Sonderbesuchen. Ebenso ist der Besitz von religiösen Schriften (z.B. Bibeln, Gebets- und Gesangbücher, theologische und spirituelle Literatur) und Symbolen (z.B. Kreuz, Rosenkranz, Kerze, Heiligenbilder) zu gewähren. Darüber hinaus unterstützen Kirche und Caritas aufgrund ihres diakonalen Selbstverständnisses bedürftige Inhaftierte durch materielle Zuwendungen in unterschiedlichster Weise während der Haft und nach ihrer Entlassung. Neben den Inhaftierten gilt das Engagement der Gefängnisseelsorge auch den Angehörigen der Gefangenen und den Bediensteten im Justizvollzug, deren Dienst - und den damit oft verbundenen familiären und psychosozialen Problemen - nur allzu selten hinreichende Beachtung geschenkt wird.

Ein besonderes Kennzeichen und Kapital der Gefängnisseelsorge ist ihre Verschwiegenheit, die u.a. durch das Zeugnisverweigerungsrecht auch strafprozessrechtlich geschützt wird (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Dieses Recht wurde bzgl. seines Umfangs durch die Entscheidung des BVerfG vom 25.01.2007 (2BvR 26/07) klarer definiert. Dennoch lässt es sich die Gefängnisseelsorge nicht nehmen, auch auf die ihr bekanntgewordenen Misstände und Fehlentwicklungen im Strafvollzug an entsprechenden Stellen aufmerksam zu machen und damit gelegentlich „Sand im Getriebe“ des Vollzugssystems zu sein - nicht nur Trost spendendes „Öl“.

Ich selbst bin seit 2003 als Pastoralreferent in der Katholischen Gefängnisseelsorge Hamburg hauptamtlich tätig, nachdem mich die Thematik Seelsorge im Strafvollzug schon während meines Theologiestudiums - vom ehrenamtlichen Engagement im Strafvollzug bis zur Diplomarbeit - begleitet hat. Als äußerst nützlich erweisen sich mir in diesem Berufszweig neben einer soliden theologischen Ausbildung und praktischen Vorerfahrungen in anderen kirchlichen Einsatzfeldern (Gemeinde und Jugendarbeit) auch Kenntnisse in den angrenzenden Wissenschaften Straf-, Strafvollzugs- und Sozialrecht, Psychologie, Soziologie, Kriminologie und Sozialarbeit sowie über die Hilfsangebote für Straffällige in der Stadt Hamburg.

Die Belastungen in diesem Arbeitsfeld sind sehr groß, weniger durch die Gespräche mit den Gefangenen selbst als vielmehr durch die Bedingungen des Strafvollzuges und das häufige Erleben eigener und fremder Ohnmacht in dieser totalen Institution. Regelmäßiger kollegialer Austausch, permanente Fortbildung und vor allem meine Frau helfen mir, handlungsfähig zu bleiben.

 

© Pastoralreferent Richard Raming, Hamburg
Leiter der Katholischen Gefängnisseelsorge Hamburg